Schlagwort: Risikomanagementgraph

MST010 – Regulatory: Risikomanagement – Risikobeherrschung

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Fabian

Wiederholung: Gefährdung, Gefährdungssituation und Risiko

Siehe auch: Folge 005 über die Grundlagen des Risikomanagement vom August 2018.

Definitionen

Gefährdung: potentielle Schadensquelle

  • Bsp: Hängender Kronleuchter
  • Bsp: Endoskop zur Darmuntersuchung
  • Bsp: Heiße Herdplatte

Gefährdungssituation: Umstände, unter denen Menschen, Güter oder die Umwelt einer oder mehreren Gefährdungen ausgesetzt sind

  • Bsp: Man steht unter dem Kronleuchter
  • Bsp: Endoskop ist im Darm eingeführt
  • Bsp: Hand des Anwenders auf der heißen Herdplatte

Schaden: physische Verletzung oder Schädigung der menschlichen Gesundheit oder Schädigung von Gütern oder der Umwelt

  • Bsp: Schädelbasisbruch aufgrund des Sturzes des Kronleuchters
  • Bsp: Verletzung des Darms
  • Bsp: Verbrennungen

Risiko: Kombination der Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines Schadens und des Schweregrades dieses Schadens

Bsp: Wahrscheinlichkeitskombination aus Schadensauftreten und Schweregrad

Auftretenswahrscheinlichkeit(en) im Detail

Detaillierter Erklärung der zwei verschiedenen Wahrscheinlichkeiten:

  • Wahrscheinlichkeit, dass eine Gefährdungssituation eintritt (p1)
  • Wahrscheinlichkeit, dass eine Gefährdungssituation zu einem bestimmten Schaden führt (p2)

Zwischen diesen beiden Wahrscheinlichkeiten liegen verschiedene Ereignisse.

Beispielsweise bei einem Cerankochfeld: Es besteht die Gefährdung der heißen Herdplatte. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit tritt die Gefährdungssituation ein, das der Anwender die heiße Herdplatte berührt (p1). Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit tritt der Schaden Verbrennungen zweiten Grades beim Anwender auf (p2). Aus der gleichen Gefährdungssituation tritt mit einer anderen Wahrscheinlichkeit der Schaden einer leichten Verbrennung beim Anwender auf (auch p2).

Beide Wahrscheinlichkeiten müssen miteinander verrechnet werden um zu einem Risiko zu gelangen. Erfahrungsgemäß lässt sich an dem kausalen Zusammenhang von p2 wenig verändern. Durch geeignete Maßnahmen lässt sich jedoch p1 verändern. Außerdem passen sich die Ereignisse in laufe der Zeit an. Gerad bei Neuentwicklungen müssen sich Annahmen als korrekt heraus stellen.

Wahrscheinlichkeiten p1 und p2
Wahrscheinlichkeiten p1 und p2

Risikominimierende Maßnahmen

Normativ soll ein Risiko nur durch drei Maßnahmen verringert werden. Die Reihenfolge ist, sowie möglich, einzuhalten:

  • Design (innere Sicherheit)
  • Schutzmaßnahme (äußere Sicherheit)
  • Information (hinweisende Sicherheit)

Bei einem Cerankochfeld kann beispielsweise die Gefährdungssituation identifiziert werden, dass ich ein Anwender auf die heiße Herdplatte fasst. Dadurch kann der Anwender mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit an Verbrennungen erleiden.

Mögliche risikominimierende Maßnahmen:

  1. Design: Das Cerankochfeld wird durch ein Induktionskochfeld ersetzt.
  2. Schutzmaßnahme: Herdschutzgitter
  3. Information: Warnhinweis in am Gerät und an der Gebrauchsanweisung anbringen

Nun zur Analyse der verschiedenen risikominimierenden Maßnahmen:

  • Im ersten Fall (Design Maßnahme) kann die Gefährdungssituation nicht mehr eintreten oder der Schaden wurde verringert
  • Im zweiten Fall kann die Gefährdungssituation noch auftreten, aber die Auftretenswahrscheinlichkeit wurde verringert.
  • Im dritten Fall wurde weder die Gefährdungssituation noch die Auftretenswahrscheinlichkeit verringert.

Neue Risiken durch risikominimierende Maßnahmen

Jedes Risiko muss nach risikominimierenden Maßnahmen neu bewertet werden. Das bedeutet:

  • Verifikation der Wirksamkeit der risikominimierende Maßnahe
  • Prüfen, ob die Gerährdungsstuation immer noch korrekt ist
  • Prüfen, ob die Auftretenswahrscheinlichkeit noch korrekt ist
  • Prüfen ob durch die risikominimierende Maßnahme neue Risiken entstanden sind

Wie sieht das im Risikomanagementgraph aus?

Risikograph
Risikograph

Was muss in den Risikomanagementbericht?

  • Nachweis, dass der Risikomanagement Plan eingehalten wurde
  • Nachweis, dass der Gesamtnutzen dem Risiko überwiegt
  • Verweis auf das Risk Assessment
  • Evtl. Verweis auf Residual Anomalies

Wann hört das Risikomanagement auf?

Ist wohl eher eine rethorische Frage, denn es hört nie wirklich auf!

Informationen aus dem Feld, von Kunden oder internen Audits ergänzen das Risikomanagement fortlaufend.

Dokumentation und Zusammenspiel mit anderen Normen

IEC 62304 verlangt (momentan) ein Risikomanagement nach ISO 14971.

Welche Dokumente sind zu erstellen?

  • Risikomanagementplan
  • Riskoanalyse
  • FMEA, FTA, …
  • Risikomanagementbericht

Risikomanagementakte muss nicht als physische Akte vorliegen.

Konformität wird durch Inspektion der Akte geprüft.

Gesamtübersicht

Risikomanagement-Übersicht
Risikomanagement-Übersicht

Gesamtübersicht inspiriert von Greenlight Guru (https://www.greenlight.guru):

Anmerkungen

Bestimmungsgemäße Gebrauch muss bekannt sein um den Umfang der Gefährdungsanalyse abschätzen zu können.

Die ISO 14971 schreibt kein Verfahren zur Gefährdungsanalyse vor.

Die ISO 14971 beschreibt kein Verfahren zur Nutzenabschätzung .

  • Kann durch klinische Bewertung/Studie erfolgen

Use Errors aus der Gebrauchstauglichkeit fließen mit in die Risikobewertung ein.

Der Risikograph ist für jedes Produkt individuell zu erstellen!

MST006 – Regulatory: Risikomanagement – Risikobewertungsmatrix

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Fabian

Risikobewertungsmatrix

Wiederholung – Definitionen:

  • Schaden: Physische Verletzung oder Schädigung der Gesundheit von Menschen oder Schädigung von Gütern oder der Umwelt
  • Schweregrad: Maß der möglichen Folgen einer GEFÄHRDUNG
  • Risiko: Kombination der Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines SCHADENS und des SCHWEREGRADES dieses SCHADENS

Grundlagen:

  • Risikobewertungsmatrix dient dem Überblick
  • Risikobewertungsmatrix nicht gesetzlich vorgeschrieben
  • Risikobewertungsmatrix spezifisch für jedes Produkt
  • Die Achse sind in der Regel logarithmisch (großer Bereich)

1. Wahrscheinlichkeiten festlegen
  • Einheit: 1/Anzahl Anwendungen
  • Entwicklerseite betrachten:
    • Wahrscheinlichkeit, dass eine Gefährdungssituation eintritt

Beispieldaten:

  • Das Unternehmen hat in Europa ca. 25% Marktanteil
  • Das Produkt wird ausschließlich in der inneren Medizin von Krankenhäusern verwendet
  • Das Produkt hat eine Lebensdauer von 10 Jahren
  • Das Produkt wird in 50% aller inneren Behandlungen verwendet
  • Das Produkt wird im Durchschnitt 10 mal pro Behandlung angewendet
  • Das Produkt soll in Europa verkauft werden
  • In Europa gibt es ca. 5.000 Krankenhäuser
  • Im Durchschnitt hat eine innere Station ca. 25 Betten
  • Die Bettenbelegungsrate liegt im Durchschnitt bei 75%
  • Es finden am Tag im Durchschnitt 0,25 Behandlungen pro Patient (=belegtes Bett) statt
  • Es werden im Durchschnitt an 340 Tagen im Jahr Behandlungen durchgeführt

Das bedeutet:

  • 25 Betten * 0,75 Bettenbelegungsrate * 0,25 Behandlungen => 4,6875 Behandlungen pro Tag pro Patient
  • 4,6875 Behandlungen pro Tag pro Patient * 5.000 Krankenhäuser => 23.437,5 Behandlungen pro Tag in Europa
  • 23.437,5 Behandlungen pro Tag in Europa * 0,5 Behandlungen mit dem Produkt * 10 Anwendungen pro Behandlung mit dem Produkt * 0,25 Marktanteil => 29.296,875 geplante Behandlungen mit dem Produkt pro Tag
  • 29.296,875 geplante Behandlungen mit dem Produkt pro Tag * 340 Behandlungen pro Jahr * 10 Jahre Lebensdauer => 99.609.375 Anwendungen pro Gerät über die gesamte Lebensdauer
  • ca. 1.000.000.000 (eine Milliarde) Anwendungen pro Gerät über die gesamte Lebensdauer
  • 1/1.000.000.000 => 10^-9

WahrscheinlichkeitsklasseBeschreibung / DefinitionHäufigkeit
HäufigFehler nahezu sicher. Tritt bei jeder Anwendung auf.p > 10-1
WahrscheinlichFehler wahrscheinlich. Tritt bei einzelnen Anwendungen auf, wenn das Produkt in seinem vorgesehenen Umfeld angewendet wird.10-3 < p ≤ 10-1
GelegentlichGelegentliche Fehler sind wahrscheinlich. Tritt bei wenigen Anwendungen auf, wenn das Produkt in seinem vorgesehenen Umfeld angewendet wird.10-5 < p ≤ 10-3
SeltenFehler ist nicht auszuschließen. Ein oder mehrere Vorfälle pro Produktlebenszyklus möglich.10-7 < p ≤ 10-5
UnwahrscheinlichVerkettung ungünstiger Umstände. Fehler konnte noch nicht beobachtet werden.10-9 < p ≤ 10-7
UnvorstellbarKein Fehler in dem Produktlebenszyklus. Nur mit absichtlichem Missbrauch möglich.p ≤ 10-9

 2. Schweregrade festlegen

Grundsätzlich:

  • dem Produkt angemessen und realistisch bleiben
    • Ein OP Mikroskop führt in der Regel nicht zum Tod eines Patienten
    • Bei einem Defibrillator sieht das schon anders aus

Patienten- und Anwenderseite betrachten:

  • Anwendungspezialisten (Anwender, Ärzte, …) mit einbeziehen
  • Durchschnitt bilden und nicht den Worst-Case annehmen

Gedankenmodell:

  • Größten und kleinsten Schaden festlegen
  • Anzahl Kategorien festlegen
  • Merkmale der Kategorie identifizieren
  • Eindeutige (binäre) Kriterien wählen

SchweregradsklasseBeschreibung / DefinitionBeispiele
geringFührt zu reversiblen Schädigungen, die keiner ärztlichen Intervention bedürfenIrritationen, Schürfwunden, Verbrennungen Grad I
ernstFührt zu reversiblen Schädigungen, die ambulanter Abklärung bedürfenHämatome, Frakturen, Verbrennungen Grad II
kritischFührt zu irreversiblen Schädigungen oder lebensbedrohlichen SchädigungenNeurologische Ausfälle, Organverletzungen, Innere Blutungen, Verbrennungen Grad III
katastrophalFührt zum Tod eines oder mehreren PatientenTod

3. Die “fertige” Risikobewertungsmatrix
  • Risikobewertungsmatrix drückt die Risikopolitik der Herstellers aus
  • Immer mit der Frage im Hinterkopf: Überwiegt der Nutzen dem Schaden?
  • Die Risikoanalyse soll das zu Erwartende darstellen, nicht den Worst-Case
  • Die Risikoakzeptanzschwelle muss erkennbar sein
    • Anhand dieser Grenze wird häufig bewertet wie die Politik ist
    • Es gibt “akzeptierte” Risiken, die in der Produktlebensdauer des Produktes zum Tode führen
    • z.B. Es gibt zwei Risiken die mindestens ein mal pro Lebensdauer zum Tod führen

Vorgriff auf die nächste Sendung:

  • Beim erreichen “akzeptablen” Bereiches darf nicht aufgehört werden
  • Bis zum Stand der Technik weiter mindern

Quellen: